Bill Ryder-Jones und Band live in Berlin

Bill Ryder-Jones live Berlin 2024 Kantine am Berghain by Werner Herpell Sounds & Books

Sein neues Album gilt als Meisterwerk. Ob es Bill Ryder-Jones den längst verdienten Durchbruch bringt? Auch bei einem Konzert in Berlin zeigt der Engländer sein enormes Talent. 

Text und Fotos von Werner Herpell

Vielleicht wird man das Album mit dem schönen walisischen Titel „Iechyd Da“ („Gute Gesundheit“) ja irgendwann als entscheidenden Wendepunkt in der bis dahin stagnierenden Karriere von Bill Ryder-Jones würdigen. Auf dieser auch hier ausführlich mit Review und Wortlaut-Interview vorgestellten Platte bricht alles heraus, was der als Teenager und Gitarren-Jungstar bei The Coral gestartete englische Musiker an Schmerz, Euphorie, Songschreiber-Klasse und Kreativität in sich trägt. Ein Folkrock/Barockpop-Meisterstück, das beispielsweise beim anerkannten Rezensionsportal Metacritic Ende März die Quartalstabelle anführte.

Einer der besten Club-Gigs des Jahres

Was nicht heißen muss, dass sich ein dermaßen opulent produziertes Album auch live genauso gut anhört. Zumal in einem kleinen Club am Berliner Ostbahnhof, der nicht für ihren Sound berühmten „Kantine am Berghain„. Aber Entwarnung: Auch das Konzert von Bill Ryder-Jones am 25.03.2024 dürfte am Ende zu den besten Gigs dieses Jahres zählen.

Zunächst mal tritt pünktlich um acht eine junge Frau auf die Bühne, von der wir in diesem Moment noch nicht wissen, dass wir sie später an entscheidender Stelle wiedersehen werden. Evelyn Halls stellt sich als Pet Snake vor, mit rauer E-Gitarre und kraftvoller Stimme trägt sie ein halbes Dutzend feine Indie-Folk-Songs vor. Schnell gegoogelt: Aha, sie ist „a Liverpool-based singer-songwriter“ und gerade mit ihrer Single „Getting Older“ auf dem Weg nach oben. Das Lied spielt sie zum Abschluss eines mehr als überzeugenden Sets, der großen Beifall einheimst. So viel Jubel gebe es in England nicht für einen Support, „You’ve made a little snake very happy!“, freut sich die „Haustierschlange“.

Der legendäre Mersey-Sound revisited

Evelyn Halls macht sich kurz danach erneut auf der Bühne zu schaffen und nimmt auf der linken Seite den Hocker mit einem Cello davor ein. Weitere sechs Musiker entern die kleine Bühne, darunter ein verwuschelt aussehender und vernuschelt klingender, dabei hochsympathisch jungenhafter Bill Ryder-Jones. Der 40-jährige Sänger und Gitarrist (auf seinen Alben ein veritabler Multiinstrumentalist) stammt wie Pet Snake aus der Nähe von Liverpool, man kennt sich also. Der legendäre Mersey-Sound hat in seiner Mixtur aus Sixties-Pop, Psychedelic-Rock und Brit-Folk viele Spuren hinterlassen.

Mit „I Hold Something In My Hand“, „Christinha“ und „If Tomorrow Starts Without Me“ präsentieren Ryder-Jones und seine mit drei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Keyboards und Halls‘ Cello großzügig besetzte Band gleich mehrere Highlights aus „Iechyd Da“ am Stück. Der Frontmann hat zwar einige Probleme, die Reihenfolge der Lieder auf der Setlist zu lesen (Bill demnächst mit Brille?), und lässt sich von seinen Buddys aushelfen. Ansonsten läuft das Konzert in Bandbesetzung eine Stunde lang wie am Schnürchen. Ein prächtiger Indie-Pop-Song folgt auf den anderen, auch ältere Alben wie „A Bad Wind Blows In My Heart“ von 2013 und „West Kirby County Primary“ von 2015 (mit der berührenden Ode „Daniel“ für den früh und tragisch gestorbenen Bruder) werden gestreift.

Bill Ryder-Jones solo und mit Band ganz groß

Ein Solo-Intermezzo von Ryder-Jones mit Akustikgitarre kommt ebenfalls glänzend an, ehe die Band um seinen langjährigen musikalischen Begleiter Liam Power an der Gitarre zurückkehrt. Mit weiteren Tracks von „Iechyd Da“, die gerade auch wegen des Cello-Einsatzes von Evelyn Halls monumentale Wucht entwickeln, geht es auf die Zielgerade dieses fantastischen Konzerts. Und mit der epischen Ballade „This Can’t Go On“ (bei S&B im vorigen September ein Song des Tages endet dann ein denkwürdiger Auftritt, der ein viel größeres Publikum verdient gehabt hätte. Aber irgendwann werden die glücklichen Fans aus der Berghain-Kantine hoffentlich sagen können: Ich war dabei, bevor Bill Ryder-Jones weltberühmt wurde.

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